„Erkennen, was die Welt im Inneren zusammenhält.“
Faust, Johann Wolfgang von Goethe
Welche Erlebnisse führten zu meiner Motivation, Co-Initiator und Autor der Webseiten welträtsel.org und deep-thought.org zu werden? Um diese Frage sinnvoll zu beantworten, muss man drei verschiedene Aspekte unterscheiden:
- Die Begeisterung für die Themen, denen sich die deutsche und die englische Webseite widmen,
- Die Gründe, warum ich einen systemischen Denkansatz verwende,
- Der Wille, sich gegen den Mainstream und die Auffassung der etablierten Wissenschaft zu wenden, wo dies notwendig ist.
Gedanken und persönliche Erlebnisse zu diesen drei Aspekten und damit Grundlagen der eigenen Motivation werden in drei Abschnitten im Folgenden vorgestellt.
1. Begeisterung für die Themen
Im Fokus der Webseite welträtsel.org stehen Fragestellungen, die heute ungelöst oder nicht zufriedenstellend gelöst sind. Das gilt im Grunde für jede beliebige Forschungsfrage. Aus der unendlichen Vielfalt, der mit dieser allgemeinen Definition möglichen Fragestellungen, haben wir uns jedoch ausgerechnet diejenigen herausgepickt, die fundamentale Fragen betreffen. Das sind dann eher die „dicken Bretter“, die alle die Eigenschaft haben, dass sie, wenn denn eine bessere Lösung als bisher gelingt, die Welt und ihre Menschen nicht nur einen kleinen, sondern sogar einen großen Schritt voranbringen werden. Daraus leitet sich meine Begeisterung gerade für diese Themen ab.
In meiner Jugend habe ich Gitarre gespielt, überwiegend klassische Gitarre, aber auch als Liedbegleitung zu Songs wie denen von Reinhard Mey. In seinem Song „Menschenjunges“ hat mir die Textzeile „Versuch deine Welt ein kleines Stück voranzubringen“ damals besonders gut gefallen und wurde für mich zu einer Art Lebensmotto. Allerdings habe ich die Aussage für mich selbst noch ergänzt: „… und wenn es geht, darf das Stückchen auch etwas größer sein!“
Voranbringen kann man jedoch nur an den Stellen, an denen ein Problem oder Mangel besteht. Wenn es dann auch noch ein größeres Stück sein soll, dann bleiben im Bereich des Wissens nur die ungelösten fundamentalen Erkenntnisfragen.
In der Schule galt mein Interesse überwiegend den Naturwissenschaften. Ich hatte exzellente Lehrer und kleine Leistungskurse mit 7 Schülern in Physik und 14 in Mathematik. Unsere Lehrer haben mit uns Dinge behandelt, die weit über den normalen Lehrplan hinausgingen. Noch viel wichtiger in Physik: Mit einer so kleinen Gruppe haben wir die Versuche selbst gemacht und nicht bloß dem Lehrer dabei zugesehen. Informatik war für mich ein freiwilliges Fach am Nachbargymnasium. Unsere Schule bekam erst ein Jahr vor meinem Abitur einen Computer.
Auch wenn ich dann kurz vor dem Abitur aus verschiedenen Gründen Richtung Wirtschaft umschwenkte, hat mich mein Interesse an den Naturwissenschaften nie verlassen – auch wenn die Weiterbildung in dem Bereich dann weniger formal, sondern durch private Lektüre erfolgte. Was ich jedoch nicht aufgab, war das Motto „die Welt ein Stück voranzubringen“. Ich musste eben nur einen anderen Weg finden, um dieses Ziel zu erreichen.
Eine Startup-Szene und damit die Aussicht, etwas völlig Neues auf diesem Wege auf die Beine zu stellen, gab es in Deutschland in den 80er Jahren nicht. Aber sie begann sich zu entwickeln und auch hier sog ich auf, was ich in meinem Umfeld erreichen konnte. Neues in der Wirtschaft auf die Beine zu stellen durch Unternehmensgründungen und Innovationen,wurde mein neuer Ausdruck meines Lebensmottos.
2. Systemisches Denken
2.1 Kennenlernen der Theorie
Nach der Ausbildung zum Bankkaufmann wurde die TU Berlin zu meiner ersten Alma Mater. Aufgrund ihrer ingenieurwissenschaftlichen Ausrichtung verlangte die TU Berlin, dass auch Betriebswirte zwingend mindestens ein technisches Fach belegen. Für mich wurde das die Systemanalyse. Die Systemanalyse passte zu meiner naturwissenschaftlichen Grundbildung und meinem durch die Naturwissenschaften geprägten analytischen Denken.
Neben der Arbeit bei der Unternehmensberatung McKinsey & Co., meinem ersten Arbeitgeber nach dem Studium, arbeitete ich parallel an einer Dissertation zum Thema „Marketing radikaler bzw. diskontinuierlicher Innovationen“ – so die damalige Bezeichnung von Innovationen, die einen großen Schritt vorwärts machten. Erst in Folge der Publikation von Christensen‘s „Innovator’s Dilemma“ wurde diese Bezeichnung im Sprachgebrauch durch den Begriff „disruptive Innovationen“ ersetzt. Auf der Suche nach einem geeigneten Dissertationsthema war ich über eine Vielzahl von Quellen gestolpert, die dieses Thema als wichtig, aber fundamental ungelöst betrachteten. Das war aus meiner Sicht genau das richtige für eine Dissertation, die ja einen wissenschaftlichen Fortschritt erarbeiten soll.
In einem internen Forschungsprojekt bei McKinsey stellten wir uns die Frage, warum es einigen Unternehmen gelang, über mehrere Jahre hinweg mit Wachstumsraten von 20% und mehr zu wachsen. Ziel war es, die Arbeiten von Brian Arthur zu Increasing Returns in die Management-Praxis zu übersetzen, um sie damit für McKinsey und seine Klienten gezielt anwendbar zu machen. Zu diesem Zweck arbeitete ich ein halbes Jahr in Boston im dortigen McKinsey Office und konnte bzw. musste mich intensiv mit Arthur’s “Increasing returns and path dependencies“ sowie mit den frühen Erkenntnissen am Santa Fe Institut zur Komplexitätstheorie auseinandersetzen. Das Ergebnis unserer Arbeit publizierten wir in dem Artikel „Fast Growth Tigers“ im McKinsey Quarterly II/1995. Das eigentliche interne Ergebnis waren jedoch ein von mir entwickeltes computerbasiertes systemdynamisches Simulationsmodell, ein interner Praxisleitfaden, um darzulegen, wie man unsere Erkenntnisse anwenden kann, sowie eine Serie von vier Fallstudien: Drei Fallstudien zu Unternehmen, die erfolgreich ein derartig hohes Wachstum erreicht hatten, sowie eine Fallstudie zum Apple Newton, der sich bereits 1995 als gigantischer Flop erwiesen hatte. Die interessante Frage, insbesondere an dieser zusätzlichen Fallstudie eines Fehlschlags, war, warum es Apple nicht gelungen war, mit dem Apple Newton frühere Erfolge zu wiederholen, obwohl Apple selbst mit dem Apple II und dem Apple Macintosh in der eigenen Entstehungsgeschichte ein Beispiel für ein überragendes Wachstum über lange Zeit hinweg gewesen ist.
Mein eigener Plan für die Dissertation war, die Ergebnisse und Konzepte, die ich in Boston erzielt hatte, wissenschaftlich zu vertiefen. Doch ich hatte die Rechnung „ohne den Wirt“ beziehungsweise in diesem Fall ohne meinen Doktorvater gemacht. Das Modell, das ich in den USA auf dem Computer entwickelt hatte, nutzte eine konventionelle Systemdynamik-Modellierungssoftware. Viel lieber hätte ich das ganze als Agentenmodell implementiert, aber das war auf dem damaligen Stand der Technologie Mitte der 90er Jahre für mich schlicht nicht möglich. Was ich nicht wusste, war, dass mein Doktorvater den Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere in den 70er Jahren damit verbracht hatte, die Systemtheorie als wissenschaftlichen Ansatz zu verurteilen. Anstatt mir jedoch konkrete Hilfestellung in meinen Überlegungen zu bieten oder mir auch nur seine eigenen Publikationen zum Thema zur Verfügung zu stellen, beauftragte er mich damit, mich davon abzugrenzen. Um meinen Ansatz abzugrenzen, musste ich jedoch erstmal die gesamte Systemtheorie in ihren Grundzügen besser verstehen und daher aufarbeiten. Diese Vorgabe zwang mich dazu, mich durch einen Berg an Literatur zu arbeiten, der mit dem, was ich machen wollte, eigentlich nur indirekt etwas zu tun hatte. Natürlich lernte ich dabei sehr viel über die Entwicklung der Systemtheorie, aber an meinem eigentlichen angestrebten Thema ging es weit vorbei. Gleichzeitig musste ich dann auch noch versuchen, die Komplexitätstheorie, die sich am Santa Fé Institut entwickelte und auf deren Ideen ich aufbauen wollte, gegenüber den alten Ansätzen der Systemtheorie wissenschaftlich abzugrenzen.
Nun muss man berücksichtigen, dass weder die Systemtheorie noch die Komplexitätstheorie tatsächlich in sich geschlossene Theorien sind, sondern im Kern eher eine Sammlung methodischer Ansätze zur Untersuchung anderer wissenschaftlicher Fragestellungen. Hinzu kam, dass die Komplexitätstheorie Anfang der Neunzigerjahre noch in den Kinderschuhen steckte. Eine in sich schlüssige Darstellung, was Komplexitätstheorie denn eigentlich ist, gab es damals nicht. Die einzige zusammenfassende Literatur, die versuchte, einen Überblick zu bieten, waren die eher populär wissenschaftlich ausgerichteten Werke von Waldrop und Lewin. Auch diese waren jedoch keine integrierenden Darstellungen, was Komplexitätstheorie tatsächlich ist, sondern nur verständlicher beschriebene Überblicksdarstellungen dessen, was sich alles unter dem gemeinsamen Titel „Komplexitätstheorie“ zusammengefunden hatte. Selbst die Wissenschaftler, die gemeinsam an „Komplexitätsfragen“ forschten, hatten es nicht fertiggebracht, ihre unterschiedlichen methodischen Ansätze auf ein gemeinsames theoretisches Fundament zu stellen. Im Grunde hat dies bis heute niemand vermocht. Die Komplexitätsforscher kamen aus einer Vielzahl unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Was ihren gemeinsamen Zusammenhalt begründete, war die Tatsache, dass sie alle in ihren Stammdisziplinen, aus denen sie sich zusammengefunden hatten, auf Phänomene gestoßen waren, die nicht mit den Instrumentarien und Ansätzen ihrer jeweiligen etablierten Wissenschaft zu erklären waren. Gemeinsam stellten sie jedoch fest, dass sich diese Phänomene untereinander sehr stark ähnelten und dass sie sich vor allem in Simulationen mit der damals verfügbaren Rechenkapazität auf PCs und Workstations zumindest in vergleichsweise trivialen Beispielen annähernd nachbilden ließen. Sie freuten sich an der gegenseitigen Inspiration, sowie den daraus resultierenden Anregungen für die jeweils eigenen wissenschaftlichen Arbeiten. Was sie jedoch nicht schufen, war ein gemeinsames Fundament, was denn Komplexitätstheorie nun eigentlich ist.
Das war die Gemengelage, die ich vorfand und in der ich eine Abgrenzung zwischen der älteren Systemtheorie und der neueren Komplexitätsforschung schaffen sollte. Das alles - wohlgemerkt - bei einem Professor, der einen der beiden Ansätze strikt ablehnte und den anderen überhaupt nicht kannte. Das konnte eigentlich nur scheitern. Bei dem Versuch, eine derartige Abgrenzung hinzubekommen und meinen Doktorvater zu überzeugen, bin ich denn auch gescheitert. Das ganze Abenteuer endete damit, dass ich mir einen neuen Doktorvater suchen musste. Da dies alles nebenberuflich stattfand, war damit dann zunächst der Punkt erreicht, an dem ich den Traum von einer eigenen wissenschaftlichen Arbeit und den Doktortitel hintenanstellen musste. Die Realität holte mich ein, und die Frage des Geldverdienens und der Gründung der eigenen Familie rückte in den Vordergrund. Das Interesse war jedoch ungebrochen, und so verfolgte ich die Entwicklung der wissenschaftlichen Literatur, insbesondere der Komplexitätstheorie, über die vielen beruflichen Jahre hinweg weiter.
2.2 Anwenden der Theorie – Systeme in der wirtschaftlichen Praxis
Was in dieser „Zwischenzeit“ allerdings tatsächlich stattfand, war, dass ich eigene Unternehmen gründete, einige erfolgreich andere lehrreich. Als selbstständiger Berater und als Interimsmanager konnte ich meine entwickelten Konzepte bei der Unterstützung von Startups und beim Business Development für Industriestandorte, vor allem in der Prozessindustrie, anwenden, weiterentwickeln und schärfen. Der größte Erfolg dabei: Über einen Zeitraum von 15 Jahren gelang es, in den mitteldeutschen Chemiestandorten neben der konventionellen, auf Erdöl basierenden Chemie als zweites Standbein auch Produktionsprozesse der industriellen Biotechnologie aufzubauen. Mit der stofflichen Nutzung von Lignozellulose in der Rohstoffkaskade wurde die Vision der Bioökonomie in der industriellen Praxis umgesetzt. Gekrönt wurden meine Bemühungen mit der Auswahl der Region als Spitzencluster durch das BMBF im Jahr 2012. Meine Rolle als Projekt- und Gründungscluster Manager endete 2013 und ich gab meine Aufgaben als Interimsmanager an ein lokales Managementteam ab. Nach Ablauf der Spitzenclusterförderung gelang es meinem Nachfolger als Cluster-Manager, Matthias Zscheile, auf Basis der vorherigen Forschungsaktivitäten eine industrielle Großinvestition der Bioökonomie am Standort Leuna anzusiedeln. Diese nutzt Holz nicht als Rohstoff für die Fasergewinnung und Papierherstellung, sondern für die Chemieindustrie im industriellen Maßstab. Der Wandel vom Erdöl zu einer neuen Rohstoffbasis ist ein Veränderungsprozess, der sich inzwischen über 25 Jahre hinzieht und heute noch bei weitem nicht abgeschlossen ist.
Das, was wirtschaftswissenschaftliche Forscher in der Theorie als „erfolgreichen Strukturwandel“ beschreiben, konnte ich in der Praxis tatsächlich umsetzen – nicht alleine, sondern in der Zusammenarbeit mit sehr vielen anderen Beteiligten. Dabei ging es nicht um ein einzelnes Produkt oder selbst eine einzelne Wertschöpfungskette, sondern um die Neugestaltung eines ganzen Wertschöpfungsnetzes. Dabei lernt man sehr viel darüber, wie Wirtschaft wirklich funktioniert – und wie nicht! Große integrierte Standorte der Chemieindustrie sind offene Systeme, die je nach Größe mehr oder weniger kompliziert sind. Umstrukturieren kann man sie nur, wenn man sie als System begreift und versteht.
Neben den eigentlichen Rohstoffen ist eine zuverlässige und kostengünstige Energieversorgung das zweite essenzielle Standbein jeder Prozessindustrie und eines derartigen Stoffverbundystems. Das gilt ganz besonders für die Chemie, egal ob auf Basis von Rohöl oder nachwachsenden Rohstoffen. Die Fragen der Energieversorgung waren daher ein wesentlicher Erfolgsfaktor in allen Diskussionen um neue Industrieinvestitionen. Mit dem Boom der Solarindustrie Ende der 2000er Jahre musste ich mich daher auch intensiv mit den Auswirkungen der erneuerbaren Energien auf die deutsche Stromversorgung beschäftigen – einem weiteren komplizierten, aber für den Menschen essenziell lebensnotwendigen, technischem System. Relativ schnell war bereits 2011/12 mit einer simplen ersten Modellrechnung klar, dass die Integration der erneuerbaren Energien in die Stromversorgung anfänglich zwar relativ einfach sein würde, doch spätestens im Jahr 2020 beginnen würde, massive Probleme zu verursachen. Diese würden mit einem weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien eskalieren und spätestens in 2050 zu einem System führen, das mit den etablierten konventionellen Ansätzen nicht mehr gesteuert werden kann. Die seit ca. 2009/10 politisch gewollte und forcierte Umstellung der Antriebstechnologie der Autos von Verbrennungs- auf Elektromotoren würde dieses Problem potenziell erheblich vergrößern.
Es war ebenfalls klar, dass es dabei zu komplett anderen Regelungsverfahren des Stromnetzes als der bisher vorherrschenden zentralen Steuerung kommen musste. Ein System, das von weniger als 200 Kraftwerken getragen wird, kann man zentral steuern. Es ist zwar kompliziert, aber nicht komplex. Es lässt sich mit normalen systemtheoretischen Ansätzen verstehen, beherrschen und steuern. Aber das ist etwas völlig anderes als ein System von Millionen Solaranlagen, Elektrofahrzeugen und lokalen Speichern. Das ist ein komplexes System, das man nur mit den theoretischen Ansätzen der Komplexitätstheorie beschreiben kann. Aus genau diesem Grund war absehbar, dass derartig starke Veränderungen im Stromsystem wiederum komplett neue Geschäftskonzepte möglich machten bzw. sogar erforderten. Mit Investitionszyklen von 30-40 Jahren und sogar noch längeren Zeiträumen für Kraftwerke und Stromnetze sowie dem Wechsel von einem systemdynamisch beschreibbaren zu einem komplexen Systemmodell war es ebenso klar, dass eine derartige Systemänderung zu massiven Störungen und Disruptionen in der Energiewirtschaft führen würde. Es stellte sich also die Frage, ob und wie man diese Entwicklung prognostizieren konnte, ob man die Millionen neuer Aggregate durch eine verteilte Steuerung dazu bringen konnte, sich von selbst netzkonform zu verhalten und wie Stromkunden auf solch einen neuen Regelungsansatz reagieren würden.
Ich begab mich auf die Suche nach Partnern, die diesem Grundgedanken gegenüber aufgeschlossen waren. Nachdem diese gefunden waren, führten die nunmehr gemeinsamen Überlegungen zu der Erkenntnis, dass wir ein Simulationsmodell benötigten, welches in der Lage war, die physikalische Realität im Stromnetz zunächst in einem kleinen abgegrenzten Bereich nachzubilden und zu variieren. Gleichzeitig benötigten wir die Möglichkeit, alternative Regelungs- und Geschäftskonzepte abzubilden, ohne diese durch die Programmierung von vornherein vorzugeben. Außerdem musste der Ansatz in das neue theoretische Fundament der Komplexitätstheorie passen. Gemeinsam mit den Partnern gelang es mir schließlich 2016, ein einjähriges Förderprojekt finanziert zu bekommen, mit dem wir einen Proof-of-Principle in einer innovativen Multi-Agenten-Simulation erbracht haben. Voraussetzung für die Umsetzung war wiederum, dass wir einen Ansatz benötigten, in dem die Geschäftskonzepte und Märkte nicht vorgegeben waren, sondern sich ebenfalls zwischen den Agenten herausbilden konnten. Mit den Standarddenkansätzen der Wirtschaftswissenschaften war das nicht möglich, denn diese sind völlig losgelöst von der realen Physik und sind auch nicht in der Lage, die Besonderheiten von Datenprodukten mit Winner-takes-all-Märkten oder psychologische Einflussfaktoren bei menschlichen Entscheidungen adäquat abzubilden. Das war die Geburtsstunde des Geschäftskonzept-Modells, das auf welträtsel.org [bzw. deep-thought.org] vorgestellt wird.
Wir schlossen das Projekt erfolgreich mit dem Nachweis ab, dass es tatsächlich möglich ist, ein Stromnetz durch eine rein verteilte Steuerung im Schwarm der beteiligten Aggregate stabil zu halten. Ohne zentrale Steuerung, ohne dezentrale Steuerung und ohne spionierende Smart Meter! Ein Jahr war jedoch zu wenig, um das Modell skalierungsfähig zu machen und die psychologischen Effekte der Beteiligten konnten wir nur sehr rudimentär implementieren. Eine Fortsetzung der Förderung nach dem erfolgreichen Proof-of-Principle wurde uns dann jedoch leider verweigert. Wir versuchten die gewonnenen Erkenntnisse zu vermarkten, stießen in der Stromwirtschaft jedoch nur auf ein geringes Interesse. Patentierbar war der Ansatz auch nicht und mit einer Publikation hätten wir verraten müssen, wie es funktioniert und dann hätten wir unseren Wissensvorsprung ohne Gegenleistung verschenkt. Also blieben wir auf dem Know-how sitzen, was uns im Nachhinein betrachtet auch nicht weitergebracht hat, für die Motivation zu dieser Webseite jedoch entscheidend war. Die Erfahrung führte nämlich zu der Erkenntnis, dass genau dieser „verschwiegene“ Ansatz, der nur versucht das Know-how exklusiven, zahlenden Klienten gegenüber offenzulegen, auch nicht funktioniert. Daraus erwuchs dann der Entschluss, das entwickelte Theoriemodell, dass Grundlage der Simulation war, tatsächlich zu publizieren. Die Frage war nur wie.
3. Es ist ok, anderer Meinung zu sein als alle anderen
Es ist ok, gegen den Strom zu schwimmen! Wie bin ich eigentlich zu dieser Erkenntnis und Einstellung gekommen, dass dieses Verhalten für mich so gar nicht als besonders galt? Vermutlich aus zwei Gründen:
- Den ersten Grund vermute ich im Elternhaus, in dem ich aufwuchs: Mein Vater war Richter am Sozialgericht und damit jemand, der das Bilden einer unabhängigen Meinung im Zwiespalt gegensätzlicher Interessen zum Beruf gemacht hatte und dabei stets die Interessen der Gruppe mit den Interessen des Einzelnen abwägen musste. Und das hat bestimmt auf mich und meine Schwester in unserem Verhalten „abgefärbt“. Sich eine eigene Meinung zu bilden und entsprechend zu handeln, bekamen wir quasi bereits im Elternhaus „antrainiert“.
- Den zweiten Grund sehe ich in vielen verschiedenen kleinen Erlebnissen als Kind und Jugendlichem, in denen ich mich mit meiner eigenen Meinung gegen die Mehrheit der Mehrheit gestellt habe und damit Erfolg hatte und Anerkennung in der Gruppe fand.
Alleinstehen und gegen den Strom zu schwimmen ist allerdings anstrengend. Ich gehörte nicht zur Clique der „Beliebten“ und „Coolen“, aber ich wurde von allen akzeptiert und vielleicht auch gerade wegen meiner Meinungsunabhängigkeit wiederholt zum Klassensprecher gewählt. Also auch wenn es nicht immer einfach war, hat es doch für mich zu Erfolgserlebnissen geführt und mich die Erfahrung machen lassen, dass man sich von einer lautstark vorgetragenen Gegenmeinung nicht unterkriegen lassen sollte. Und wenn man diese Erfahrung erst einmal gemacht hat, dann schrecken einen vergleichbare Situationen auch zukünftig nicht mehr.
Aber letztlich sucht man auch in dieser Ausgangsposition die Anerkennung durch andere. Man mag mit der Einzelmeinung starten, aber inhärent ist auch in dieser Position ein starker Drang vorhanden, andere von der eigenen Meinung zu überzeugen. Das geht jedoch nur mit Kommunikation und aktivem Vertreten der eigenen, abweichenden Meinung.
Fazit
Die Persönlichkeit und Motivation eines Menschen sind letztlich ein Ergebnis seiner Erlebnisse, Erfahrungen und seines Umfelds. Waren Erlebnisse und Erfahrungen gut bzw. das Umfeld positiv, will man meist mehr davon; waren sie schlecht, will man meist die Wiederholung vermeiden. Damit formen diese Faktoren unmittelbar einen Anlass für das weitere eigene Verhalten. Ähnliche Erlebnisse und Erfahrungen ketten sich aneinander und bilden damit schrittweise durch Wiederholungen die eigene Persönlichkeit immer weiter aus. Natürlich sind die einzelnen Erlebnisse keine identischen Wiederholungen, sondern stets ein wenig verschieden. Sie werden aber als ähnlich wahrgenommen, sind also Wiederholungen in Variationen. In der Wahrnehmung des Gehirns als neuronalem Netz, führt das jedoch zu einem Verstärkungseffekt durch eine Verallgemeinerung und Konzentration der Verbindungen zwischen beteiligten Neuronen. Beim variierenden Erleben werden wieder dieselben Neuronen angesprochen, dieselben Synapsen aktiviert, und diese werden dadurch wiederum in ihrem Bestand gefestigt. Damit werden dann auch Verhaltensmuster und Motivationen über Zeit etabliert. Bei diesen eigenen Erlebnissen gibt es dann auch meist einige Ereignisse und Erfahrungen, die besonders wichtig für die eigene Entwicklung waren. Man erinnert sich an diese und denkt darüber nach. Was wiederum dazu führt, dass die beteiligten Neuronen und Synapsen im Rahmen der Erinnerung wieder aktiviert werden und sich allein durch den Vorgang des Erinnerns weiter gefestigt werden.
Welche Erlebnisse in der eigenen Entwicklung derartig bedeutend waren, erkennt man meist nur mit etwas Abstand im Nachhinein. Allein schon daran, dass man sich nur an diese Ereignisse genauer erinnert. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die eigene Persönlichkeit von diesen besonderen Ereignissen geprägt wurde und dass die damit verbundenen Erlebnisse das eigene Verhalten und die Motivation nachhaltig beeinflussen.
Für mich und meine Motivation waren diese prägenden Erfahrungen
- der Drang, etwas vorwärts bewegen zu wollen, eher im Großen als im Kleinen, und damit gepaart der tiefe Wille, sich nicht einfach mit dem Status quo zufrieden zu geben.
- Das Interesse, Gesamtzusammenhänge zu verstehen, unabhängig von bestehenden wissenschaftlichen Disziplingrenzen.
- Die Erkenntnis, dass sich die Realität mit komplexen adaptiven Systemen wesentlich besser beschreiben lässt als mit systemdynamischen oder gar statischen Modellen.
- Die persönliche Erfahrung, Bereitschaft und Erkenntnis der Notwendigkeit sich auch gegen Mehrheitsmeinungen zu stellen, wenn man wirklich etwas Wichtiges bewegen will.
In Summe entstand daraus meine persönliche Motivation an einer Webseite zu arbeiten, die konzeptionelles, theoretisches Wissen vermittelt, dass nicht in den Mainstream passt, aber verloren gehen würde, wenn man sich nicht die Mühe macht, es weiterzugeben.
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