In Frankreich ist die Bretagne für ihre Menhire bekannt. Aber Menhire gibt es nicht nur dort. Auch im Süden Frankreichs stehen etliche Hinkelsteine in der Landschaft. Die dortigen Formationen sehen aber vollkommen anders aus als in der Bretagne, was den ursprünglichen Zweck dieser steinernen Zeugen besonders rätselhaft macht.

Im Süden Frankreichs erstreckt sich das Zentralmassiv, das fast ein Viertel der Fläche Frankreichs einnimmt. Der südöstliche Teil des Zentralmassivs wird Cevennen genannt. Die Gegend ist touristisch attraktiv, geprägt von tief eingeschnittenen Tälern und Hochflächen. Industrie hat hier nie Fuß gefasst, die Dörfer und kleinen Städtchen haben ihren ursprünglichen Charakter bewahrt. Auch die Bedingungen für die Landwirtschaft sind alles andere als günstig: Die Böden sind karg, das Gelände bergig. Die Flusstäler haben sich teils mehrere hundert Meter tief in das Kalkgestein eingefressen und werden von steilen Felswänden begrenzt. Dadurch ist die Gegend umwegsam und schwer zu erschließen. Manche Dörfer in den Flusstälern haben erst im 20. Jahrhundert einen Straßenanschluss erhalten und waren zuvor nur auf dem Wasserweg mit flachen Booten erreichbar.

Die Cevennen sind also nicht gerade der Ort, wo man als Ackerbauer und Viehzüchter als erstes sesshaft werden würde. Wieso stehen dann aber in den Cevennen mehrere hundert Menhire?

Die Menhire wurden nach Überzeugung der Historiker von unseren steinzeitlichen Vorfahren errichtet, die Ackerbau und Viehzucht aus dem Vorderen Orient nach Europa brachten. Durch archäologische Untersuchungen und moderne genetische Verfahren konnten Wissenschaftler ermitteln, wie sich die Kultur der Ackerbauern und Viehzüchter ab etwa 10.000 Jahre vor Christus schrittweise in Europa ausbreitete. Die Ausbreitung erfolgte dabei entlang der Meeresküsten und der Donau, wie in nebenstehender Abbildung gezeigt. Im Gebiet der Cevennen tauchten die Siedler um 5.400 vor Christi Geburt auf. Gute Bedingungen für Ackerbau und Viehzucht waren vermutlich nicht der Grund, weshalb sie dort siedelten. Doch was trieb sie dann in diese unwirtliche Gegend?

Vielleicht können uns die Menhire einen Hinweis geben, was die frühen Siedler in dieser Gegend trieben. Was lässt sich aus den Anordnungen der Menhire in den Cevennen herauslesen?

Während die Menhire in der Bretagne meistens einzeln stehen oder lange Steinreihen bilden wie im Ausnahmefall von Carnac, sind die Menhire in den Cevennen oft in kleinen Gruppen angeordnet. Solche Gruppen bestehen beispielsweise aus zwei nahe benachbarten Steinen und weiteren Menhiren, die in einigen Dutzend Metern Entfernung angeordnet sind. Manchmal bilden mehrere Menhire ungefähr eine Linie, wobei die Abstände zwischen den Menhiren mehrere Dutzend Meter betragen. Die Menhire der Cevennen sind weder besonders groß noch besonders klein, sie ragen typischerweise 1 m bis 2,50 m aus dem Boden. Obwohl es mehrere hundert Menhire in den Cevennen gibt, fallen sie im Landschaftsbild nicht besonders auf. Sie stehen meist nicht an markanten Punkten in der Landschaft, sondern oft verdeckt in Hanglagen.

Historiker tappen bislang im Dunkeln, zu welchem Zweck die Steine ursprünglich errichtet wurden. Die naheliegenden Vermutungen scheiden weitgehend aus: Eine Nutzung als steinerne Kalender, wie bei Steinkreisen vermutet, kann ausgeschlossen werden, weil die Steine keinerlei Orientierung am jahreszeitlichen Gang der Sonne erkennen lassen. Außerdem wäre es nicht nötig gewesen, in wenigen Kilometern Entfernung voneinander solche Anlagen zu errichten. Grabstätten können die Menhire auch nicht sein - weder wurden Knochen noch Grabbeigaben bei diesen Menhiren gefunden. Als Peilmarken oder Wegmarkierungen können die Steine auch nicht gedient haben - dafür hätte man eine besser sichtbare Anordnung in der Landschaft gewählt. Wiederkehrende Formationen mit ähnlichen Mustern lassen sich nicht ausmachen, jede Formation scheint individuell zu sein. Am ehesten sieht es danach aus, als würden die Steine einen kleinräumlichen Bezug zueinander herstellen, der vielleicht einige Dutzend bis einige hundert Meter umfasst. Was könnte man mit den Steinen markiert und abgegrenzt haben?

Ein Blick auf den Boden verriet mir des Rätsels Lösung: Dort fanden sich braun gefärbte Steinbrocken, die sich deutlich vom Kalkgestein der Schluchten und dem Granit der Berge unterschieden. Erz! In der Tat ist die Gegend um den Mont Lozère, wo sich die meisten Menhire finden, für ihren Erzbergbau bekannt. Dort gibt es Vorkommen von Eisen, Blei, Zink und Silber, die nachweislich mindestens von der Römerzeit bis ins 20. Jahrhundert hinein ausgebeutet wurden. Sind die frühzeitlichen Siedler also vielleicht wegen der oberflächennahen und daher leicht abbaubaren Erzvorkommen in die Cevennen gezogen und haben ihre Claims mit steinernen Menhiren abgesteckt?

Denkbar wäre das. Jedenfalls würde es erklären, warum die Formationen keine wiederkehrenden Muster bilden und überwiegend in Hanglagen zu finden sind. Die Claims orientieren sich schlicht am anstehenden Gestein. 

Einen Haken hat die Vermutung jedoch: Die Gewinnung und Verarbeitung von Erzen kam erst am Ende der Jungsteinzeit mit dem Übergang zur Bronze- und Eisenzeit auf. Wenn die Menhire tatsächlich zur Abgrenzung von Claims bei der Erzgewinnung gedient haben, müssten sie also jünger sein als bislang vermutet. Der Beginn der Bronzezeit in Mitteleuropa wird auf ca. 2.200 vor Christus datiert, der Beginn der Eisenzeit auf etwa 800 vor Christus. Allerdings gab es vereinzelt wohl auch schon früher Metallverarbeitung, bevor sie sich flächendeckend durchsetzte und Metalle bei der Herstellung von Werkzeugen und Waffen die bis dahin genutzten Steine ablösten, die der Steinzeit ihren Namen gaben. Insbesondere die gediegen vorkommenden Metalle Silber, Gold und Kupfer wurden auch schon deutlich früher von Menschen genutzt. War es also vielleicht das Silber, das die Menschen schon früh in die Berge der Cevennen gelockt hat?

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