Wer ein Unternehmen gründen möchte, ist mit einer Vielzahl unterschiedlicher Fragen konfrontiert. Diese reichen von ganz pragmatischen Fragen wie "Was muss ich tun, um eine Gründung formal umzusetzen und ein Bankkonto für das Unternehmen zu eröffnen" bis hin zu den fundamentalen Fragen wie "Taugt meine Idee was? Gibt es das schon?", "Wie groß ist mein Markt?" und "Gegen welche Wettbewerber trete ich mit meiner Idee eigentlich an?" Und, und, und ... Die Frageliste lässt sich beliebig lang fortsetzen. Doch bevor ich mich in das "Abenteuer" stürze ein Unternehmen mit einem neuen Geschäft zu gründen, sollte vorher ein möglichst detailliertes Verständnis entwickeln, worauf ich mich da einlasse. Mit dem im Folgenden vorgestellten Vier-Perspektiven/Drei-Ebenen-Modell lässt sich die Tragfähigkeit eines Geschäfts beurteilen.

Auch wer als Management vor der Aufgabe steht, ein Unternehmen zu führen, stellt sich ähnliche Fragen - nicht unbedingt genau die gleichen Fragen, denn die formale Gründung ist ja z.B. bereits vollzogen. Aber doch zumindest Variationen der genannten fundamentalen Fragen, wenn auch aus dem Blickwinkel des bereits laufenden Unternehmens. Da klingt es dann eher so: "Ist mein Produkt noch aktuell? Wie kann ich es verbessern?", "Wie verändert sich mein Markt? Kann ich meinen Umsatz steigern? Kann ich meine Kosten senken?" Und "Entstehen neue Wettbewerber? Was machen die anders und wie kann ich mich denen gegenüber behaupten?" Oder die gestellten Fragen richten sich ganz konkret bezogen auf laufende Trends wie "Welche Auswirkungen hat KI auf mein Geschäft? Kann ich das auch nutzen? Wie verändert sich dadurch mein Geschäft?" 

Alle diese Fragen kann man beantworten, wenn man über ein vertieftes und systematisch strukturiertes Verständnis des eigenen Geschäfts verfügt. In diesem Artikel geht es darum zu zeigen, wie man zu so einem strukturierten Verständnis des eigenen Geschäfts anhand eines Geschäftskonzepts kommt. Das umfasst die Fragen

 

Bevor man sich mit Geschäftskonzepten beschäftigt, muss man zunächst einmal die Frage klären: Was ist überhaupt ein "Geschäft"?


Ein Geschäft ist das Erbringen einer Leistung oder Tätigkeit, die versucht 
Jemanden bei der Umsetzung einer Aufgabe zu helfen oder
in einem speziellen Kontext eine spezifische Funktion für denjenigen zu erfüllen, 
mit dem Ziel dafür in angemessener Weise kompensiert zu werden.


1. Eine Leistung oder Tätigkeit kann dabei die Herstellung eines konkreten anfassbaren Produkts sein, zum Beispiel ein Auto. Das Auto wird jedoch nicht gekauft, damit man ein Auto hat, sondern weil man mit einem Auto etwas transportieren kann. Man kann damit bestimmte Dinge tun, die man sonst nicht tun kann. Es geht um die Aufgabe des Transports, die bei der Anschaffung im Mittelpunkt steht. Und es geht darum, welche Aufgabe es im konkreten Einzelfall ist, sowie welche Anforderungen man an die Aufgabenerfüllung stellt. Dies wiederum entscheidet, welches Auto man dann tatsächlich kauft. Will ich nur mich selbst transportieren, z.B. auf dem Weg zur Arbeit, dann tut es auch ein kleines Auto. Will ich meine Familie transportieren, dann muss das Auto größer sein. Brauche ich viel oder wenig Platz für Dinge, die ich neben Personen transportieren will? Das bestimmt wieviel Stauraum das Auto neben der Anzahl Sitze bieten muss. Will ich es besonders bequem haben? Will ich die frische Luft um mich herum genießen? Will ich von anderen beneidet werden? Die Anforderungen an die Transportleistung entscheidet darüber, welches Automodell und sogar ob ich das Produkt "Auto" überhaupt kaufe. 

Die Leistung kann auch eine Dienstleistung sein. Die Dienstleistung kann wiederum konkret sein, wie das Essen in einem Restaurant, die Pflege einer Person, die Hilfe eines Handwerkers oder die Aufführung eines Theaterstücks. Aber auch bei der Dienstleistung geht es darum, das ich etwas nicht selbst tun kann oder will. Ich habe Hunger, kann oder will aber nicht kochen. Jemand benötigt Pflege, etwas muss repariert oder gebaut werden, oder ich möchte unterhalten werden. Es kann sich bei der Dienstleistung aber auch um eine rein virtuelle Leistung handeln, wie die Bereitstellung der Wikipedia, einer Suchmaschine oder eines anderen Algorithmus. Ich möchte etwas nachschlagen, etwas finden. Also nutze ich Wikipedia oder eine Suchmaschine.

Zusammenfassend bedeutet das: Im Mittelpunkt eines Geschäfts steht nicht ein spezifisches "Produkt", das ein Unternehmen "herstellt", sondern stets eben diese Aufgabe, die gelöst werden soll, bzw. die Funktion, die erfüllt werden muss. Dabei kann das Geschäft darauf abzielen, die Umsetzung der Aufgabe überhaupt zu ermöglichen, sie zu erleichtern oder die Aufgabe komplett für jemand anderes umzusetzen, so dass er selbst unmittelbar das Ergebnis für sich zur Verfügung hat. 

Dieser Gedanke ist im Übrigen nicht wirklich neu. Bereits Theodore Levitt hat in seinem fundamentalen Artikel „Marketing Myopia“ 1960 die Auffassung vertreten, dass viele Manager ihr Geschäft falsch nach ihren Produkten definieren und nicht nach den Leistungen, die ihre Unternehmen erbringen bzw. ermöglichen. Viel später wurde dieser Gedanke von Clayton Christensen wieder aufgenommen und als eigene "Jobs-to-be-done" Theorie vermarktet.

 

2. In der Definition haben wir von "Jemand" gesprochen. Warum? Im einfachen Fall ist dieser "Jemand" unmittelbar ein zahlender Kunde.  Aber das muss nicht so sein. Es kann auch mehr als zwei Beteiligte an einem Geschäft geben. Es kann auch ein anderer, ein "Dritter" sein, der die Hilfe bei der Umsetzung seiner Aufgabe erhält oder die gebotenen Funktion für sich nutzt. Dieser Dritte kann auch jemand ohne jeglichen Bezug zu demjenigen sein, der für die Erbringung der Leistung tatsächlich zahlt. Derjenige, der bei Wikipedia etwas sucht, muss nicht derjenige sein, der dafür spendet, damit Wikipedia finanziert wird. Die Formulierung "jemanden" ist daher neutraler und umfassender. Sie stellt klar, dass bei es bei einem Geschäft immer mindestens zwei Beteiligte gibt. Derjenige der hilft und der "Jemand", der die Hilfe erhält oder für den eine Funktion erfüllt wird. Es kommt also zu einem Austausch, einer Transaktion.

3. Derjenige, der die Leistung erstellt oder Tätigkeit erbringt, verfolgt das Ziel, dafür angemessen kompensiert zu werden. Aber die Kompensation muss nicht in Geld erfolgen und sie muss auch nicht zwingend von dem die Leistung erhaltenden Dritten kommen. Sie kann, muss aber nicht. Auch was angemessen ist, entscheiden die Beteiligten selbst. Damit sagt die Definition nichts über den Erfolg oder auch nur den angestrebten Erfolg aus.

Zusammenfassend sind drei essenzielle Punkte dazu, was ein Geschäft ist, festzuhalten:

1. Bei einem Geschäft geht es immer um eine zu erfüllende Aufgabe/Funktion.

2. Es gibt mindestens zwei Beteiligte, den Betreiber des Geschäfts und jemand anderen. Es können aber auch mehr Beteiligte sein.

3. Es gibt immer mindestens eine Transaktion mit einer Leistung und einer Kompensation.

In einem wichtigen Punkt weicht diese Definition von der Standarddefinition eines „Geschäfts“ im allgemeinen Sprachgebrauch und in den Wirtschaftswissenschaften ab. Der deutsche Duden definiert "Geschäft" als "auf Gewinn abzielende [kaufmännische] Unternehmung, [kaufmännische] Transaktion". Die hier verwendete Definition ist also umfassender und unterstellt nicht eine kommerzielle, auf Gewinn ausgerichtete Absicht der betrachteten Tätigkeit.

Hintergrund für diese Abweichung ist, dass auch non-profit-Organisationen ein „Geschäft“ betreiben und einem „Geschäftskonzept“ folgen. Auch die Analyse solcher Geschäfte muss mit einem universellen Ansatz zur systematischen Analyse und Entwicklung von Geschäftskonzepten möglich sein. Das gleiche gilt für Geschäfte von "Social impact" Unternehmen. 

Auch für etablierte Unternehmen ist die hier verwendete weitere Definition eines "Geschäfts" von entscheidender Bedeutung. Wettbewerb für das eigene Geschäft kann aus allen denkbaren Richtungen kommen. Auch Non-Profit-Organisationen wie die Wikipedia können eine fatale Bedrohung für etablierte Geschäfte darstellen wie nahezu alle Verlage von Enzyklopädien am eigenen Leib leidvoll erfahren mussten. Keiner davon hat mit seinem Kerngeschäft als gedruckte Buchreihe überlebt. Zwar existieren sie noch als Onlineausgaben mit Abonnement-Modellen. Sie stellen aber nur noch einen Schatten ihrer selbst als ehemaligen Institutionen des Wissens dar. Um das Überleben meines Unternehmens zu sichern, benötige ich daher ein Verständnis für andere Geschäfte, das über den bisherigen Stand der Wissenschaft hinausgeht.

Doch was ist nun ein Geschäftskonzept?

 

Quellen:

Theodore Levitt, "Marketing Myopia, Harvard Business Review 2004, reprint des Originals von 1960

Clayton Christensen "Competing against Luck", Harper Business, 2015, ISBN 13-978-0062435613

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